Pflegekammer

Keine Landespflegekammer in BaWü

Resolution der Landesbezirksfachbereichskonferenz des FB 3 von ver.di Baden-Württemberg am 10.11.2018 in Mosbach zur geplanten Einrichtung einer Landespflegekammer durch den Landtag Baden-Württemberg (Der ver.di-Fachbereich 3, „Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen“ in Baden-Württemberg vertritt ca. 43.000 Mitglieder in Gesundheits- und Sozialeinrichtungen)
14.11.2018

 

Keine Landespflegekammer in Baden-Württemberg
Eine staatliche Zwangsorganisation für eine Arbeitnehmer*innen-Berufsgruppe schadet den Betroffenen

Die Landesbezirksfachbereichskonferenz des FB 3 von ver.di Baden-Württemberg spricht sich entschieden gegen die geplante Einrichtung einer Landespflegekammer in Baden-Württemberg aus.

Die für diese Kammer vorgesehenen Mitglieder sind fast ausnahmslos abhängig beschäftigte Arbeitnehmer*innen in Betrieben wie Krankenhäuser, Pflegeheime oder Sozialstationen. Ihre Arbeit erbringen sie auf der Basis ihrer Qualifikation und der von ihrem Betrieb festgelegten Rahmenbedingungen. Insbesondere die für die Pflegearbeit zur Verfügung gestellten Fachkräfte pro Schicht, die vom Arbeitgeber festgelegte Arbeitsorganisation und die Ausübung des Direktionsrechts durch die Arbeitgeber entscheiden darüber wie gut die Pflegequalität sein kann und wie belastend die Arbeitsbedingungen sind.

Im Interesse der Pflegenden aber auch  für die Pflegequalität ist es daher vor allem, dass die Rahmenbedingungen so verbessert werden, dass Gute Pflege möglich ist.

Auf diese Rahmenbedingungen hat eine Pflegekammer aber keinen Einfluss. Sie darf nur Einfluss nehmen auf das individuelle Verhalten der Pflegenden, die im Rahmen der von den Arbeitgebern festgelegten Rahmenbedingungen tätig sind. Damit folgt die Einrichtung einer Pflegekammer der fatalen Logik, dass die Rahmenbedingungen nicht zu verändern seien, sehr wohl aber über ein verändertes Verhalten der Beschäftigten eine ausreichende Pflegequalität zu gewährleisten sei.  Diese Logik hat aber gerade in der Vergangenheit dazu geführt, dass bei der oft bestehenden Unterbesetzung der Arbeitsschichten, Patienten bzw. Heimbewohner nicht alle ihnen zustehenden pflegerischen Leistungen erhalten. Und das, obwohl viele Beschäftigte zu deren Gunsten auf eigene Gesundheitsschutzrechte wie Pausen etc. verzichten. Die Folge ist, dass der Pflegeberuf so unattraktiv und belastend geworden ist, dass immer weniger dort arbeiten wollen.

Mit der Übertragung der Verantwortung der Pflegequalität auf die Pflegekammer, die eben keinen Einfluss auf die schädlichen Rahmenbedingungen hat, verfestigt sich so das aktuelle Pflegeproblem. Die Verantwortung der Politik und der Arbeitgeber für eine Gute Pflege wird so auf die Pflegenden selbst verschoben. Und die erscheinen dann so auch noch als die Schuldigen für die Pflegeprobleme, der es mit der Berufsgerichtsbarkeit einer Pflegekammer zu Leibe zu rücken gilt.

Die Einrichtung einer Pflegekammer ist weniger eine berufspolitische Entscheidung als eine Frage des Umgangs des Parlaments mit einer Arbeitnehmer*innen-Gruppe. Arbeitnehmer*innen würden zu den Direktiven ihrer Arbeitgeber zusätzlich Anweisungen für ihr berufliches Verhalten von einer staatlich eingerichteten Körperschaft, der Pflegekammer, erhalten. Diese bindet aber nur einseitig Arbeitnehmer*innen, aber nicht deren Arbeitsvertragspartner, die Arbeitgeber. Dadurch werden Arbeitnehmer*innen zu Diener zweier Herren und unnötige zusätzliche Konflikte für die Arbeitnehmer*innen sind vorprogrammiert.

Zusätzlich soll dies auch noch von den betroffenen Arbeitnehmer*innen allein finanziert werden, über Mitgliedsbeiträge und Gebühren. Hinzu kommen Kosten für von der Kammer eingeforderten Fortbildungen, die gegebenenfalls auch noch in der Freizeit besucht werden müssen. Auch hier wird die Verantwortung der Arbeitgeber für die laufende Verbesserung der Qualifikation der Beschäftigten  auf die Beschäftigten selbst und zu deren Lasten übertragen.

Über eine verbindliche Berufsordnung werden weitere Verhaltensanordnungen durch die Kammer unabhängig von den bestehenden arbeitsvertraglichen Verpflichtungen den Arbeitnehmer*innen aufgebürdet. Aktuell wird so eine Berufsordnung in der Pflegekammer in Rheinland-Pfalz, allerdings unter Ausschluss der Mitgliedschaft, diskutiert und beschlossen.

Die Berufsverbände, die eine Pflegekammer befürworten, organisieren nur wenig Pflegekräfte. Eine staatlich eingerichtete Pflichtorganisation würde den offensichtlichen Willen einer deutlichen Mehrheit der Pflegekräfte sich nicht zu organisieren, übergehen. Eine Pseudolegitimation – weil Pflichtmitgliedschaft - für eine Pflegekammer, im Namen aller Pflegekräfte sprechen zu können, würde zudem die bestehende Vielfalt von Positionen in der Pflege unzulässig einschränken.

Eine repräsentative Umfrage unter 1- 2 % der Betroffenen darf nicht Grundlage sein, über 100.000 Arbeitnehmer*innen das Wahlrecht zu nehmen, ob und wo sie sich für ihre Interessen organisieren wollen. Sie sind nicht gefragt worden, ob sie mit einer Pflichtmitgliedschaft einverstanden sind.

Sind Kammermitglieder mit ihrer „Interessensvertretung“ nicht einverstanden, reicht ihr freier Wille nicht aus, sich dieser „Interessensvertretung“ wieder zu entziehen. Sie müssen entweder ihren gelernten Beruf aufgeben oder in ein pflegekammerfreies Bundesland wechseln. Damit sind die betroffenen Arbeitnehmer Kammerentscheidungen ausgeliefert. Diese Gesamtsituation ist ein echtes Demokratieproblem. Für Arbeitnehmer*innen ist ein derartiger Umgang überraschend und nicht akzeptabel.

Aufgabe des Landes Baden-Württemberg ist es, seine Verantwortung nicht an die betroffenen Arbeitnehmer*innen abzuschieben, sondern selbst die entsprechenden Betriebe zu beaufsichtigen, ob sie ihre Aufgaben gegenüber den Patienten bzw. Heimbewohnern erfüllen und ob die Gewährleistung der Einhaltung von Arbeitnehmerschutzrechten gegenüber den Beschäftigten gewährleistet ist.

Wir fordern daher die Mitglieder des Landtags von Baden-Württemberg auf, die Einrichtung einer Landespflegekammer abzulehnen.

_______________________________
Weiterleitung an die Landtagsabgeordneten der Fraktionen von Bündnis 90/die Grünen, der CDU, der SPD und der FDP